Wirbelsäulenverletzungen im (Amateur-)Fußball
Fußball gehört weltweit zu den verbreiteten und beliebtesten Sportarten. Es wird angenommen, dass ca. 270 Millionen Männer und Frauen diesen Sport regelmäßig ausüben. Laut UEFA (Union des associations européennes de football) gibt es alleine in Europa ca. 20 Millionen lizensierte Fußballspieler. Prinzipiell wird Fußball als Kontaktsportart definiert, da durch die direkte Interaktion der Spieler untereinander, traumatische Verletzungen auftreten können.
Hohe Verletzungsrate
Im Fußball wird generell über eine hohe Verletzungsrate in der wissenschaftlichen Literatur berichtet. So treten zwischen 2 und 19 Verletzungen pro 1000 h Exposition auf (1,2). Die untere Extremität ist mit ca. 85 Prozent aller Verletzungen am häufigsten betroffen, wobei die hintere Oberschenkelzerrung und die isolierten Verletzungen des medialen Seitenbandes des Knies alleine für 60 bis 65 Prozent aller durch das Fußballspielen auftretender Verletzungen verantwortlich sind.
Ca. 56 Prozent der Verletzungen sind als gering (28%) oder geringfügig (28%) einzustufen. 29 Prozent der Verletzungen haben ein mittelschweres Ausmaß und 15 Prozent weisen ein schweres Ausmaß auf, wobei keine einheitliche Definition der Schweregrade existiert.
Zwar gehören Wirbelsäulenverletzungen nicht zu den häufigsten Verletzungen unter Fußballspielern, haben aber für die Betroffenen meist schwerwiegendere Folgen und führen vergleichsweise zu einer äußerst langen Pausierungen und langen Erholungsperioden.
Auftreten und Lokalisation
Wirbelsäulenverletzungen können nach zeitlichem Auftreten (traumatisch vs. chronisch und degenerativ) oder nach Lokalisation (Lendenwirbelsäule, Brustwirbelsäule und Halswirbelsäule) klassifiziert. Der Übergang zwischen Lenden- und Brustwirbelsäule, die sogenannte thorakolumbale Region weist dabei eine sehr hohe Inzidenz an Verletzungen auf.
Im Profifußball wurden 4 bis 6 Prozent Lendenwirbel- und Thoraxverletzungen in europäischen Ligen (1,3) und bis zu 9 Prozent in internationalen Turnieren (4) gemeldet. Im Profi- und Amateurfußball liegen die Raten von Wirbelsäulenverletzungen zwischen 9 und 14 Prozent (5,6). Verletzungen der Halswirbelsäule sind ebenfalls von Bedeutung, aber schwieriger zu beurteilen, da die meisten Studien "Kopf- und Nackenverletzungen" zusammen bewerten. Im Profifußball liegen die Raten für Halswirbelverletzungen zwischen 3 und 7 Prozent (6); aufgrund der Einbeziehung von Gehirnerschütterungen wurden bei internationalen Turnieren sogar Raten von bis zu 18 Prozent gemeldet (4). Verletzungen im Fußball gibt es allerdings nicht nur bei Profispielern. Auch Jugendliche (Kinder und Jugendliche) und Amateurspieler sind Wirbelsäulenverletzungen ausgesetzt (7). So wurden insbesondere höhere Raten von Verletzungen der Lendenwirbelsäule und ein höherer Schweregrad dieser Verletzungen im jugendlichen Frauenfußball mit einer berichteten Verletzungsrate von 17 Prozent aufgezeigt (8).
Risikofaktoren für Verletzungen
Welche Faktoren können die Verletzungsrate beeinflussen? In einer durchgeführten systematischen Übersichtsarbeit über Verletzungen bei männlichen Fußballspielern fassten Pfirrmann et al. (6) die Risikofaktoren zusammen, die mit Verletzungen verbunden sind. Die Fußballspiele an sich und junges Alter waren dabei die wichtigsten Faktoren für Verletzungen. Wegen der erhöhten Intensität während der Fußballspiele war das Verletzungsrisiko bei Spielen höher als beim Training.
Darüber hinaus weisen weibliche Fußballerinnen und Profi-Jugendfußballer aufgrund der schwächeren Nackenmuskulatur und der Skelettmuskulatur auch eine höhere Verletzungsanfälligkeit auf (6,8).
Pfirrmann et al. (6) berichteten ferner über andere Risikofaktoren. Die Spielposition ist ein unabhängiger Risikofaktor der wahrscheinlich auf ein höheres Aufprallrisiko mit den Gegenspielern zurückzuführen; insbesondere Mittelfeldspieler weisen eine höhere Verletzungsrate auf und Torhüter haben ein generell höheres Risiko für Rückenschmerzen (Lower Back Pain; LBP).
Auch die Intensität der Vorbereitung während der Vorsaison, die Trainingsbelastung sowie die Vorgeschichte früherer Verletzungen sind ebenfalls mit höheren Verletzungsraten und längeren Spieleinschränkungen und Verletzungspausen verbunden.
Aus diesem Aspekt ergibt sich, dass Verletzungen sowohl akut oder als Folge einer Überlastung klassifiziert werden können. Akute Verletzungen beruhen auf dem Vorhandensein eines einzigen identifizierbaren Ereignisses, das die Verletzung verursacht. Überlastungsverletzungen sind auf repetitive Mikrotraumen zurückzuführen und stellen meist einen schleichenden Beginn dar, ohne dass ein Trauma bekannt ist (1,7). Akute Verletzungen machen ca. zwei Drittel aller Verletzungen im Fußball aus (6).
Stürze, Zweikämpfe, Kämpfe um den Ball und Zusammenstöße mit Gegenspielern oder auf Torpfosten (vor allem bei Torhütern) sind häufig. Bis zu 25 % dieser traumatischen Verletzungen werden bemerkenswerterweise durch Foulspiel verursacht (5). Walden et al. (5) klassifizierten akute traumatische Verletzungen als Verstauchungen, Gelenkverletzungen, Zerrungen und Frakturen und Prellungen.
Auch im Bereich der Wirbelsäule und den angrenzenden Strukturen kann es eben zu diesen Verletzungsmustern der knöchernen Strukturen, gleichwohl auch zu Verletzungen der Rückenmuskulatur, der Bänder, der Bandscheiben und Zwischenwirbelgelenke kommen.
Die degenerative Bandscheibenerkrankung
Kirkaldy-Willis et al. (9) beschrieben drei Phasen der degenerative Bandscheibenerkrankung der Lendenwirbelsäule. Phase I ist gekennzeichnet durch Funktionsstörungen und Rückenschmerzen, die die häufigsten Befunde im aktiven Sportlerleben sind. Wie Hangai et al. (10) zeigten, kann ein schwerer Rückenschmerz (LBP) in der Jugend ein Prädiktor für eine Bandscheibendegeneration sein, die meisten jungen Spieler mit LBP zwischen 20 und 40 Jahren gehören zu dieser Phase I. Phase II ist durch Instabilität gekennzeichnet und tritt erst später im Leben auf.
Phase III ist die Restabilisierung aufgrund von Bandverkalkung und Spondylophytenbildung (knöcherne Anbauten im Bereich der Wirbelkörper). Diese typischen Phase-III-Veränderungen treten bei aktiven Fußballspielern nur selten auf. Degenerative Bandscheibenerkrankungen (DDD) sind mit einer Vielzahl von intrinsischen und extrinsischen Faktoren verbunden. Körperliche Belastung, insbesondere im Leistungssport, wurde mit einer Bandscheibendegeneration der Lendenwirbelsäule in Verbindung gebracht. Sportler, die seit vielen Jahren trainieren, haben ein erhöhtes Risiko für DDD.
Weitere Krankheitsbilder
Weitere potentielle Erkrankungen die durch das Fußball spielen begünstigt werden sind die Spondylolyse und Spondylolisthesis. Die Spondylolyse ist definiert als Fraktur der Pars interarticularis und kann ein- oder beidseitig verlaufen. Spondylolisthesis (SPL) wird als das Abrutschen der oberen Wirbel über den darunter liegenden Wirbel beschrieben. Im Volksmund wird diese Erkrankung meist als Wirbelgleiten bezeichnet. Wirbelsäulenverletzungen im Fußball sind nicht nur der Elite oder dem semiprofessionellen Bereich vorbehalten. Wie von Sakai et al. (11) berichtet, wurden bei jungen Sportlern und jungen Fußballspielern in der japanischen pädiatrischen und jugendlichen Bevölkerung viel höhere Raten von Spondylolyse (bis zu 30 %) berichtet, die circa fünfmal so hoch waren als der nationale Durchschnitt (5,9 %).
Auch Rassi und Kollegen (12) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. So zeigten sich ebenfalls eine höhere Inzidenz bei Spondylolysen bei pädiatrischen und jugendlichen Fußballspielern. Bei 43 % der Patienten war die Erkrankung mit Schmerzen beim Vorwärtsantritt vergesellschaftet.
Eine Studie aus Europa ergab, dass Elitefußballer eine höhere Inzidenz von Osteophyten aufwiesen und dass insbesondere Stürmer eine verringerte Bandscheibenhöhe in der Lendenwirbelsäule aufwiesen (13).
Neuromuskuläre Kontrolle als Präventionsinstrument
Die Reduzierung von Verletzungen und die Verbesserung der Leistung im Fußball hängt sehr stark von der neuromuskulären Kontrolle ab. Es kann nicht genug betont werden, dass dynamische Stabilisationsübungen die Essenz des Trainings für Leistungsfußballer sein müssen.
Arend und Lemmink (14) definierten dynamische Stabilität als die Fähigkeit des neuromuskuloskelettalen Systems, eine aufrechte Position des Rumpfes bei Störungen beizubehalten oder wieder aufzunehmen. Die Stabilität von Rumpf und Hüfte wird in erster Linie durch eine gut koordinierte neuromuskuläre Steuerung aufrechterhalten, die als dynamischer Prozess der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts definiert werden kann. Während eines Fußballspiels verändern sich die Situationen ständig und schnell, welches gleichermaßen innere und äußere Störfakturen für die Spieler hervorruft. Entscheidend für die Prävention, gleich ob traumatisch oder degenerativ ist eine präventive Stärkung der Rumpf und Stützmuskulatur.
Eine verminderte Rumpfstabilität ist mit einer höheren Inzidenz von Verletzungen der unteren Extremitäten und Schmerzen im unteren Rücken bei einer Sportart mit Körperkontakt wie Fußball verbunden. Die neuronale Muskelkontrolle ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Stabilität von Rumpf und Hüfte, um Verletzungen zu reduzieren und die Leistung zu verbessern. Mehrere Studien haben ergeben, dass eine mangelhafte neuromuskuläre Kontrolle des Rumpfes und der Hüfte Sportler für Verletzungen des unteren Rückens und der unteren Extremitäten prädisponiert (15-20).
Athleten rekrutieren oder übertragen ständig ein hohes Maß an repetitiver Kraft durch die Wirbelsäule. Richtige Kraftübertragung von den Beinen, der Hüfte und das Becken auf den Stamm ist essentiell zur Prävention. Hüft- und Beckengelenkseinschränkungen gepaart mit Muskelkraftdefizite sowie schlechter Ausdauer des Rumpfmuskels führt es zu einer Instabilität der Wirbelsäule, die gewöhnlich symptomatisch ist und ein erhöhtes Verletzungsrisiko aufweist.
Ein entsprechendes Rehabilitationsprogramm
Beispielsweise sollte nach der Verletzung ein ensprechendes Rehabilitationsprogramm zunächst die instabile Basis stärken und dann zur Stärkung des Beckens und der Hüften übergehen. Eine gezielte Bewegungskontrolle ine inem sportartenspezifischen Ansatz, sollte dann zur Reduktion von Schmerzen, einer Verbesserung der Fähigkeiten und eine sichere Rückkehr zum Spiel führen.
Schwerwiegende Verletzungsmuster
Selten kann es auch zu schwerwiegenden Verletzungsmustern wie Frakturen, und Bänderverletzungen im Bereich der Halswirbelsäule kommen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass es kaum Literatur über traumatische Halswirbelsäulenverletzungen im Fußball gibt. Einzelfälle zeigten jedoch schweren Wirbelsäulenverletzungen aufgrund von Stürze, Kollisionen oder Zweikämpfe (22) auf. So berichteten Silva et al. (21) beispielsweise über zwei Fälle von schweren Nackenverletzungen aufgrund einer Berstungsfraktur bei C5 und eine Hyperextensionsverletzung, die zu einer Tetraplegie (vollständiger Lähmung sämtlicher Extremitäten) führte.
Auch das Kopfballspiel kann durchaus ein erhöhtes Verletzungspotential für die Halswirbelsäule aufweisen.
Mehnert et al. (23) analysierten die potentiellen akuten Verletzungen nach dem Kopfballspiel. Das Kopfballspiel ist eine komplexe Aktivität, bei der neben dem Rumpf und den Beinen auch die Nackenmuskulatur beansprucht wird. Axiale Belastungsverletzungen sowie zervikale Hyperflexion- und Hyperextensionstraumen gelten nicht routinemäßig für das Kopfballspiel, wenn die richtige Technik angewendet wird. Ein spontaner Aufprall oder eine Überlastung der Rotation können jedoch zu schweren Verletzungen oder zu Instabilität führen.
Zusammenfassung
Wirbelsäulenverletzungen sind bei Spitzenfußballspielern häufig. Fußball ist ein Kontaktsportart, bei der Kopfball, Kicken sowie Hyperextension, Hyperflexion und sich wiederholende Rotationsbewegungen das Risiko einer Überlastung und akuter Wirbelsäulenverletzungen besteht. Prävention und adäquates Training sind entscheidend, um langanhaltende Verletzungen zu vermeiden. Die Stärkung der Nackenmuskulatur ist von größter Bedeutung. Darüber hinaus ist eine Kräftigung der Rumpf und Stützmuskulatur essentiell zur Reduktion der Verletzungsanfälligkeit.
Die meisten Wirbelsäulenverletzungen erfordern keine Operation. Chrirugische Maßnahmen können aber bei instabilen Verletzungen der knöchernen Wirbelsäulen oder bei auftreten neurologischer Symptome (z.B. Lähmungen) indiziert und notwendig sein.
Eine Option, wenn die Symptome zurückkehren oder sich verschlimmern. Generell ist ein „Return to play“ nach einer Wirbelsäulenoperation möglich.
Kontakt & Service
Sekretariat der Klinik für Wirbelsäulentherapie